Frankfurter Allgemeine Zeitung
Feuilleton
Meine Regierungserklärung.
Warum ich Internet-Politiker und nicht Terrorist geworden bin / Von
Andy Müller-Maguhn
Also gut, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin gebeten worden, eine Regierungserklärung zu schreiben. Und zwar für eine Zeitung, die in Regierungskreisen gern gelesen wird. Dabei konnte ich Regierungen noch nie leiden. Überhaupt gar nicht. Nur der Obacht meiner Mutter können Sie es verdanken, daß ich, etwa im Alter von elf Jahren, nicht der RAF beigetreten bin. Später bin ich dann irgendwie erwachsen geworden, obwohl Kritiker behaupten, das sei eben gerade nicht geschehen. Aber ich bin gewählt worden, und zwar in eine Weltregierung. Das glauben Sie nicht? Deswegen schreibe ich jetzt eine Regierungserklärung. Manche Regierungen muß man eben erklären.
Die Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen wird in zunehmendem Umfang von Medieninhalten geprägt, die durch elektronische Netze zugänglich sind. Das Internet ist nicht nur ein solches Netz, basierend auf Protokollen, Standards, Adressierungen und Regeln. Es ist vor allem ein Kulturraum, dessen Teilnehmer nicht festgelegt sind, ob sie Sender oder Empfänger sind. So wird die Netzwirklichkeit von den Nutzern gemacht.
Icann, jene Weltregierung des Internets, zu deren Europa-Direktor ich durch die erste weltweite Online-Wahl gewählt wurde, regelt die Vergabe von Namen und Nummern, die Einführung der Protokolle und erstellt die Regeln dafür: Icann ist also die Architektur des Netzes oder eben: dessen Regierung. Die Generation der Regierenden ist üblicherweise eine, die mit dem Röhrenradio groß geworden ist, damals, als man noch klar trennen konnte zwischen Sender und Empfänger. Das nennt man Kanalmodell, und das ist nun vorbei. Heute bildet das Netz einen Kommunikationsraum, man nennt dies Netzmodell. Jeder, der sich da anschließt, kann diesen Raum betreten, sich umgucken, etwas nehmen, etwas geben. Das nennen wir im Internet Geschenkkultur. Ein kleines elektronisches Paradies- in dem sich lustige Dinge entwickelt haben. Das gabe es alles, weil der Planet so groß ist, die Außerirdischen unter uns sind und - weildie Juristen weit weg waren. Die waren damals noch mit Gesetzen gegen Terroristen beschäftigt. Heute ist das anders Irgendwann war das zwar alles ganz sicher da daruaßen, aber leider auch festzementiert. Und die Menschen nicht festzementiert sein wollten, haben sie sich einen neuen Freiraum geschaffen: mit ohne Staaten mit ohne Juristen, einfach nur freier Informationsfluß, ein paar grobe Benimmregeln, und ansonsten macht einfach jeder, was er will, rough consensus and running code.
Betongefängnisse in die Luft zu sprengen war schon okay, aber ins Internet zu ziehen einfach der gründlichere Ansatz. Die Gedanken sind frei. Zugegeben: Auch im Netzkulturkreis hat ein paar Leuten das mit der Gedankenfreiheit ein bißchen zugesetzt. Da kam dann die Sache mit dem Geld ins Spiel, und wenn schon grenzenlos, dann natürlich unendlich viel Geld. Da ich nun allerdings nicht religiöse Gefühle verletzen möchte, sage ich nicht "E-Cornmerce" und "E-Business". Glauben Sie doch, an wen oder was Sie wollen! Aber lassen Sie uns mit Ihren Juristen in Ruhe! Die Geschäftsleute haben sie leider mitgebracht, die schon beim Kauf einer Packung Gununibärchen eine Vertragshandlung sehen und die den natürlichen Akt der Vermehrüng von Bits mit so garstigen Begriffen wie "Raubkopien" versehen. Und die jetzt, wo das mit dem Internet gerade weltweit so richtig anfängt, geistiges Eigentum deklarieren wollen. Und laut aufschreien, wenn sie sich überlegen, daß da geklaut wird, den ganzen Tag in jedem Computer dieses Planeten. Und da natürlich Diebstahlsperren einbauen wollen, Filter, Polizisten und Gefängnisse. Okay, also die Situation ist da. Und wir, die Netzbewohner, müssen reagieren. Einige von uns haben sich mehr auf das mit dem unendlichen Geld konzentriert, andere sich vorsorglich schon mal Weltraumbahnhöfe, Südseeinseln und Server in Satelliten angemietet, um für die kommende Konfrontation gerüstet zu sein. Na ja, und dann war da noch die Sache mit der Regierung. Das Netz basierte zwar im wesentlichen nur auf einer gemeinsamen Sprache, die die Computer miteinander sprechen, und einem Adreßraum, damit sie sich ansprechen konnten; bei der Entwicklung der Sprache, der Vergabe von Adressen und der Schaffung des Namensraumes war allerdings die amerikanische Regierung beteiligt. Und irgendwann, als dann die Regierungen der anderen Länder und die Generation der Krawattis das "wehWehWeh" kannten, wollten auch sie mitreden. Aber das ist eigentlich eine andere und ziemlich lange Geschichte, auch wenn sie letztlich Anlaß zur Gründung von Icann war.
Es gibt jetzt also Icann, es ist eine von der amerikanischen Regierung gegründete Firma nach kalifornischem Recht, sie regeln nicht nur die weltweite Vergabe von Namen, Nummern und die Implementierung von Protokollen, sie betreiben auch fast - die entscheidenden Bestandteile des zentralistischen und hierarchischen Namensraumes. Fast, weil die amerikanische Regierung das Kernstück des Ganzen, den A-Root-Server, mithin das logistische Herz des Internets, nicht aus der Kontrolle geben möchte. Zum-anttdYen"Ttffl Will 2Wi' regieren, dies aber nicht zugeben. Man hat immer säuberlich darauf geachtet, "nur" ein technisches Gremium zu sein, das "nur" technische Fragen regelt und "nur" die Vergaberichtlinien für Namen und Nummern erstellt. Geholfe hat es nicht. Es ist das geschehen, was immer geschieht, wenn man zentralistische STellen aufbaut, ob sie vermeintlich "repräsentativ" die Dinge regeln oder nicht: Die Zeit der Begehrlichkeiten begann. Und damit kommen wir zuürck zu den Juristen den Krawattis und andren Regierungne. Abgesehen davon, daß Icanns understatment natürlich auch von Geschäftsinteresseng geprägt war und es die iene oder andere unerquickliche Geschichte über mafiöse Verbindungen zwischen Icann und dem Registrator der ersten Stunde - Network Solutions - gibt, wollten die Juristen auf einmal Eigentumsrechte an Namen deklarieren. Hier und da gab es bereits Magen von Markenrechts- gegen Domainnamensinhaber. Die Juristen hatten das Internet entdeckt, und es nervte gewaltig. Diese penetrante Habgier, versteckt hinter Gesetzen. Eigentlich hätte die Regierung jetzt einschreiten sollen. Sie hätte ja sagen können: Warum. denn kein Extra-Narnensraum, in dem Markenrecht gilt? Aber die Regierung, Icann, hat das nicht gewollt. Weil sie selbst aus Juristen besteht. Und sie tragen Krawatten, die ja bekanntlich die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn einschränken. Und deswegen haben sie keine Phantasie und haben das auch gar nicht verstanden, wozu man so einen öffentlichen Raum braucht oder was ein ParaUeluniversum ist.
Und weil sie Amerikaner waren, haben sie natürlich amerikanisches Markenrecht bevorzugt, die Wipo ("World Intellectual Property Organization") als potentielle Schiedsgerichtsstelle (gewählt durch den Kläger) bestimmt und damit den Namensraum den anderen Juristen zum Fraß vorgeworfen. Das nervt nicht nur, das ist ein Verbrechen. Ein Verbrechen an der Sache, ein Verbrechen am öffentlichen Kulturraum Internet. Was die Juristen "geistiges Eigentum" nennen, ist - das weiß jeder Lateiner - nichts weiter, als ein Diebstahl am öffentlichen Raum. Und da wir - die Netzbewohner -jetzt keine Lust haben, uns den öffentlichen Raum durch diese Diebe kaputtmachen zu lassen, mußten wir ein bißchen proaktiv tätig werden. Da geht so jeder seinen Weg, und alle sind vernetzt. Durch den öffentlichen Raum, durch das kollektive Unbewußte und durch Eris, die Göttin des Streits, der Zwietracht, der Auseinandersetzung. Aber bevor Sie das als Esoterik miß verstehen - zurück zu den Regierungsgeschäften.
Nominell bin ich jetzt also in der Regierung und de jure irgendwann im November. Und auch dann will ich immer noch den öffentlichen Raum frei von kommerziellen Spielregeln halten, den freien Informationsfluß hüten und den Bits ihre Freiräume geben. Wir wollen lauter Datengärten, wo sie sprießen, gedeihen und sich vermehren können - soviel zu den kulturpolitischen Aspekten meiner Regierungstätigkeit. Dann gibt es noch organisatorische Fragen, und da Regierungen als zentralistische, hierarchische Systeme nur dazu einladen, Mißbraucht zu werden, und entwicklungshemmend sind, würde ich das ganze gern so dezentral wie möglich ablaufen lassen, und dazu muß es transparent werden. Die amerikanische Regierung sollte sich mal mehr um ihr Bildungswesen kümmern, statt zu versuchen, den Namensraum zu beherrschen. Gucken Sie sich nur mal das geographische Verständnis von Icann an; die Neuaufteilung der Welt durch die kafifornische Firma, die beispielsweise einfach Nord- von Südamerika trennt, spricht Bände.
Die übrige Regierungsarbeit wird darin bestehen, vernetzte Paralleluniversen durch das Nebeneinander von verschiedenen Kulturen mit eigenen Spielregeln zu schaffen.-Und dann macht einfach jeder, was er will. Also auch den Krawattis ihre eigenen Räume. Da dürfen sie dann Markenrecht spielen (global nicht einheitlich, aber egal, sich gegenseitig aufgrund unterschiedlichen Verständnisses von Meinungsfreiheitsrechten verklagen oder sich einfach in Wohlgefallen auflösen. Solange sie anderen Kulturen akzeptieren, ist das alles okay. Ich bemüh´ mich ja auch, wirklich, damit das funktioniert mit dem Nebeneinander. Also, ich erkläre Ihnen jetzt die Regierung, und das heißt, ich erkläre Ihnen, daß sie in Zukunft bitte schön sich selbst regieren. Machen Sie doch einfach, was Sie wollen. Mach´ ich doch auch.
Seit letzten Mittwoch ist Andy Müller-Maguhn einer der mächtigsten Männer des Internet.- als gewählter Europa-Direktor von Icann (Internet Cooperation for Assigned Names and Numbers") entscheidet er künftig über Namen, Adressen und (Server-)Ressourcen im Internet - ein Milliardenmarkt. Bei seiner Wahl setzte sich Müller-Maguhn auch gegen den Repräsentanten der Deutschen Telekom durch. Müller-Maguhn trittfür ein dereguliertes, staatlich unkontrolliertes Internet ein. Seine Wahl hat auch in den Vereinigten Staaten großes Aufsehen ausgelöst. Das ehemalige Mitglied des Chaos-ComputerClubs ist jetzt einer von achtzehn Direktoren und erklärt an dieser Stelle, wie er sich seine Herrschaft im Netz vorstellt. F.A.Z.